Arthur Romanowski (Frankfurt)
Rote Beete Reden
Ein Talk-Format, das erst noch sprechen lernt. Eine Serie, die nach der ersten Folge endet. Gäste, die wieder gehen, bevor sie anklopfen. Unfrisierte Gespräche mit der eigenen Oma. Ein Skypegewitter. Vermutlich unter Verwendung von Texten von Alfred Jarry, Marta Kijowska, Stanislaw Jerzy Lec, Stanislaw Lem, Brygida Najdowska und vielen mehr. Polnifizierungen, Deutschifizierungen, Entkommunistenizierungen, Bauernhöfe. Wir schreiben zusammen eine Chronik, meine polnisch-deutsche Oma und ich. Denn seit Jahren gibt es die Forderung, du machst Theater, also schreib endlich unsere Chronik auf. Im Gegenzug möchte ich Zugang zu allen Geheimrezepten. Der Ort der Performance wird somit zur ersten Anlaufstelle einer Sammlung europäischer Gerichte. Die Performance untersucht das Potential politischer Reden, garniert sie mit persönlichen Gesprächen, ist auf der Suche nach Kommentaren, Gesprächspartnerinnen und -partnern und gibt eine Prise europäischer Utopien mit dazu. Fertig? Oder fehlt noch was?
Michał Borczuch/Nowy Teatr (Krakau/Warschau)
Cinema of Moral Anxiety
Ein amerikanischer Aussteiger aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, in seiner Blockhütte im Wald der Zivilisation entflohen. Ein polnischer Amateurfilmer am Ende der 1970er Jahre, der eigentlich nur die Geburt seines Kindes auf Super 8 festhalten wollte und plötzlich die manipulative und also politische Sprengkraft seiner Kamera kennenlernt. Jugendliche Flaneure von heute irgendwo zwischen Netflix, Snapchat und Europäischer Union, alternde Schauspieler*innen mit drahtigen Körpern und scheiternden Restitutionsansprüchen: Die Bühne in dieser rasant konzentrierten Theaterperformance ist eine Schnellstraße, auf der sich beständig Menschen und Zeiten begegnen, inspiriert etwa von Henry Thoreaus „Walden“ ebenso wie von den frühen Filmen Krzysztof Kieślowskis. Sie beschleunigen, verlangsamen oder halten inne, und die Zeit wird hier zum Raum. Wie wollen wir zusammenleben, fragen sie sich immer wieder, und wollten wir überhaupt zusammenleben, oder wollen wir noch?
Krzysztof Minkowski/Maxim Gorki Theater (Berlin)
Moja Prywatna Apokalipsa (My Private Apocalypse)
Wir schreiben das Jahr 2030: Die national-konservativen Parteien haben die Macht in Europa übernommen. Alle Menschen innerhalb der Festung werden umfassend durch den Staat überwacht, jeglicher Widerstand wird mit langen Gefängnisaufenthalten oder Todesstrafe geahndet. Opposition findet nur noch heimlich statt. In den Katakomben des Warschauer Kulturpalastes gibt es heute ein konspiratives Konzert, bei dem sich der polnische Widerstand versammelt. Hier soll eine neue Keimzelle der Gegenbewegung gegründet werden, die sich in ganz Europa verbreiten wird. Nach dem politischen Wirbel um Krzysztof Minkowskis Inszenierung „O dwóch takich co ukradli księżyc“ (Die zwei Monddiebe) kehrt die Warschauer Ausnahmeschauspielerin Marta Malikowska mit Punk zurück auf die Bühne. Ihr dystopisches performatives Konzert konfrontiert uns mit der Frage, wann die demokratischen Mittel, sich gegen menschenverachtende Politik zu stellen, erschöpft sind.
Gespräch mit Joanna Warsza, Michał Borczuch u.a.
How to live together (im Fokus Polen)
Das Nachdenken über Europa beschäftigt die Theaterwelt, vor allem die Frage, wie es besser werden kann in einem von Euroskepsis geprägten Klima. Unmissverständlich: Die Theaterleute stellen sich gegen nationale Ansätze – sie arbeiten längst transnational. Welche Auswirkungen der Rechtsruck in Deutschland hat, bekommen die Institutionen und Künstlerinnen und Künstler langsam zu spüren. In unserem Nachbarland Polen sieht es schon schlimmer aus: Gelder werden gestrichen, Bilder werden abgehängt. Wie arbeitet man unter diesen Bedingungen, was hat die politische Situation für Auswirkungen auf die Kunst? Und welche Konsequenzen zieht man für das eigene Handeln? Ausgehend von den eingeladenen Inszenierungen fragen wir nach den Möglichkeiten und Bedrohungen der aktuellen politischen Situation in Europa und setzen einen Fokus auf Polen.
Mit: Michał Borczuch, Joanna Warsza (Kuratorin), Arthur Romanowski, Wojtek Zrałek-Kossakowski (Künstler, Regisseur, Dramaturg, Komponist), Moderation: Joanna Bronowicka (Beraterin des Präsidenten der Europa-Universität Viadrina zur International Faculty, insbesondere Digitalisierungs-/ Digitalitätsfragen)